Farbstoffe

Farbstoffe
Farbstoffe,
 
organische Farbmittel, die, im Gegensatz zu den Pigmenten, selbst oder in Form von reaktionsfähigen Vorstufen im Anwendungsmedium löslich sind. Die Einfärbung eines Substrates kann in der Masse oder an der Oberfläche erfolgen. Eine farbige Verbindung ist nur dann ein Farbstoff, wenn die geforderten anwendungstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind (z. B. Haftung auf einer Textilfaser). Je nach Verwendungszweck wird zwischen Textilfarbstoffen, Lederfarbstoffen, Papierfarbstoffen, Lebensmittelfarbstoffen, Farbstoffe für Mineralöle, Indikatorfarbstoffe u. a. unterschieden.
 
Natürliche Farbstoffe sind pflanzlichen oder tierischen Ursprungs. Die aus Wurzeln (z. B. Krappfarbstoffe), Blättern (z. B. Henna), blühenden Pflanzen (z. B. natürliches Indigo), Insekten (z. B. Koschenille), Schnecken (z. B. Purpur) u. a. gewonnenen Farbdrogen enthalten meist mehrere Farbstoffkomponenten. Natürliche Farbstoffe findet man in freier Form, mit Zuckern (glykosidisch) oder Eiweißstoffen (proteidartig) verknüpft oder als farblose Leukoverbindungen, die erst bei der Isolierung in farbige Verbindungen übergehen. Die Anwendung natürlicher Farbstoffe ist heute auf Spezialfälle beschränkt. Bedeutung haben Betanin, Bixin, Carotin, Crocin und Curcumin als Lebensmittelfarbstoffe; Karminsäure wird für Lippenstifte, Juglon als Hautbräunungsmittel verwendet. Der Begriff Farbstoff wird bei natürlichen Farbstoff weiter gefasst. Er schließt farbige Verbindungen ein, die nicht oder nur sehr beschränkt zum Färben verwendet werden können. In der Natur können solche Farbstoffe biochemische Funktionen (z. B. Chlorophyll bei der Photosynthese) oder Signalwirkungen (z. B. Anthocyane für das Erkennen von Blüten durch Pollen übertragende Insekten) haben. Je nach ihrer Lokalisierung im Organismus werden sie als Blattfarbstoffe, Blütenfarbstoffe, Blutfarbstoffe, Gallenfarbstoffe bezeichnet.
 
Synthetische Farbstoffe beherrschen heute mit mehreren Tausend Produkten den Markt. Sie lassen sich nach den farbtragenden chemischen Gruppen (Chromophore) in Acridinfarbstoffe, Anthrachinonfarbstoffe, Azinfarbstoffe, Azofarbstoffe, Azomethinfarbstoffe, Formazanfarbstoffe, indigoide Farbstoffe (Indigo), Nitrofarbstoffe, Nitrosofarbstoffe und Triarylmethanfarbstoffe einteilen. Die Einteilung ist auch unter färberischen Gesichtspunkten möglich. Ein Farbstoff kann durch Färben aus einem wässrigen Färbebad (Flotte) oder durch Bedrucken mit Farbstoffpasten auf das zu färbende Substrat aufgetragen werden. Dabei ist nicht jeder Farbstoff für jedes Substrat geeignet. Zum Färben von Polyamidfasern (Wolle, Nylon) eignen sich Säurefarbstoffe, die sich mit ihrer Sulfogruppe im sauren Färbebad an die Aminogruppen von Polyamiden anlagern. Säurefarbstoffe werden bevorzugt zum Färben von Oberbekleidung und Teppichen verwendet. Färbungen von hoher Licht- und Nassechtheit werden bei Wolle und synthetischen Polyamiden mit Metallkomplexfarbstoffen erreicht. Dabei handelt es sich um Chelate aus einem Metallatom (z. B. Chrom, Kobalt) und einem Azofarbstoff. In die Polymerkette von Polyacrylnitrilfasern werden bei der Polymerisation Monomere mit negativ geladenen Gruppen (z. B. Sulfonatgruppen) eingebaut. Diese Gruppen ermöglichen das Anfärben mit kationischen Farbstoffen. Für Polyesterfasern werden Dispersionsfarbstoffe verwendet, die sich kaum in Wasser, aber gut in organischen Medien (z. B. synthetische Fasern) lösen. Sie werden, fein gemahlen, unter Zusatz von Dispergatoren im Färbebad aufgeschlämmt, aus dem sie bei Kochtemperatur in die Faser hineindiffundieren. Baumwolle hat als Cellulosefaser nur Hydroxylgruppen mit geringen Anziehungskräften. Früher wurde Baumwolle mit Aluminiumsalzen oder Tannin gebeizt. Die so vorbehandelte Faser konnte mit Beizenfarbstoffen (z. B. Alizarin) gefärbt werden. Licht-, wasch- und chlorechte Färbungen von Baumwolle werden mit Küpenfarbstoffen erreicht. Küpenfarbstoffe (z. B. Indigo) sind wasserunlösliche Stoffe, die durch Reduktion (Verküpung) in wasserlöslichen Verbindungen (Leukokörper) überführt werden können. Nach dem Aufziehen auf die Faser bildet sich durch Luftoxidation der Farbstoff zurück. Entwicklungsfarbstoffe werden erst auf der Faser synthetisiert. Beispiele sind die Naphthol-AS-Azo-Farbstoffe, bei denen die Kupplungskomponente auf die Faser aufgezogen wird. Durch Reaktion mit der löslichen Diazokomponente entsteht auf der Faser der Farbstoff. Direktfarbstoffe (substantive Farbstoffe) lassen sich aus neutraler, wässriger Lösung direkt auf Baumwolle aufziehen. Baumwolle wird heute meist mit Reaktivfarbstoffen gefärbt oder bedruckt. Bei diesen ist der eigentliche Farbträger mit einer reaktiven Gruppe (z. B. chlorierte Triazine) verbunden, die eine chemische Verbindung mit der Faser eingeht. Dadurch werden sehr klare Färbungen von hoher Waschechtheit erreicht.
 
Für einige der als technische Farbstoffe verwendeten Azo- und Benzidinfarbstoffe wurden toxikologische und kanzerogene Eigenschaften nachgewiesen. Strengen gesetzlichen Regelungen unterliegt die Zulassung synthetischer Farbstoffe als Lebensmittelfarbstoffe (E-Nummern), da einige u. a. Allergien auslösen können. In der Baubiologie werden nur Naturfarben auf der Basis von Erd- und Pflanzenfarben verwendet.
 
 
Die ursprünglichen Farbstoffe entstammten ausschließlich der Natur. Indigo war in Ägypten, China und Indien bereits vor mehreren Tausend Jahren bekannt. 1600 v. Chr. wurde auf Kreta die Purpurfärberei betrieben. Indigo und Krapp waren über Jahrhunderte bis in die Neuzeit die beherrschenden Farbstoffe zum Färben von Textilien. Um 1200 war am Mittelmeer eine Blütezeit der Färbekunst, besonders in Italien, die sich von hier über ganz Europa ausbreitete. Nach der Entdeckung Amerikas bekam die europäische Färberei durch Farbhölzer neuen Auftrieb. Im 16. Jahrhundert gelangte Koschenille aus Mexiko nach Europa. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand man die ersten künstlichen organischen Farbstoffe, die zu einer völligen Umwälzung der Färbemethoden führten.
 
Der erste wirtschaftlich bedeutende synthetische Farbstoff war das 1856 von W. H. Perkin aus Anilin hergestellte Mauvein. In den folgenden Jahren kam es zur Entdeckung weiterer »Anilinfarben« (»Teerfarben«, u. a. des Fuchsins durch E. Verguin) und besonders in Deutschland zur Gründung von Farbenfabriken. Besondere Impulse erhielt die Farbstoffchemie durch die Entdeckung der Diazotierung (P. Griess, 1862) und durch die Alizarinsynthese (C. Graebe, C. Liebermann, 1868). Nach den grundlegenden Arbeiten über Indigo von A. von Baeyer wurde die erste industriell nutzbare Indigosynthese 1890 von K. Heumann entwickelt. Hervorzuheben sind ebenfalls die Synthese des Kongorots (P. Böttiger, 1884), die Anthrachinonfarbstoffe (R. Bohn und R. E. Schmidt, 1888), die Schwefelfarbstoffe (H. Vidal, 1893), das Indanthren (R. Bohn, 1901) und das Naphthol AS (1912) sowie die Acetatfarben (A. Clavel, 1920). Weitere wichtige Entwicklungen des 20. Jahrhunderts waren die Einführung der Dispersionsfarbstoffe (ab 1923) und der Reaktivfarbstoffe für Baumwolle (1956).
 
 
K. Venkataraman: The chemistry of synthetic dyes, 8 Bde. (New York 1952-78);
 I. Grae: Nature's colors. Dyes from plants (ebd. 1974);
 
F. in Pflanzen - Pigments in plants, hg. v. F.-C. Czygan (1975);
 
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 G. Hildenbrand: Chemie der Kunst- u. F. (31981);
 W. Kratzert u. R. Peichert: F. (1981);
 P. Rys u. H. Zollinger: Farbstoffchemie (31982);
 G. Wittke: Farbstoffchemie (31992);
 H. Schweppe: Hb. der Natur-F. (1993).

Universal-Lexikon. 2012.

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